Erwartungen vs. Realität – Was lässt sich in einem Jahr studentischer TD-Forschung eigentlich erreichen?

Ein Epilog zur Halbzeit

Von Luise Dahmen

This blogpost is part of a transdisciplinary student project in the region of Oldenburg taught by Moritz Engbers, Ulli Vilsmaier & Maraja Riechers

Dieser Blogpost ist Teil des Studentenprojektes Transdisziplinäres Projekt: Landkreis Oldenburg im Master Nachhaltigkeit. Lehrende: Moritz Engbers, Ulli Vilsmaier & Maraja Riechers

 Wie die Zeit verfliegt! Seit nunmehr einem halben Jahr besteht unser transdisziplinäres (TD) Forschungsprojekt und wie die vorhergehenden Blogpost verdeutlichen, ist seitdem viel passiert. Wir haben uns intern strukturiert, waren in der Projektregion Naturpark Wildeshauser Geest und unser Forschungsplan, der Meilenstein zur Halbzeit, ist abgeschlossen. Daher möchte ich an dieser Stelle mit der Leitfrage “Erwartungen vs. Realität – Was lässt sich in einem Jahr studentischer TD-Forschung eigentlich erreichen?” kurz innehalten, resümieren und schließlich den Blick gen Wintersemester richten.

Unsere zu Beginn formulierten Erwartungen und bisher Erreichtes
Unsere TD-“Fallstudie Landkreis Oldenburg“ lässt sich innerhalb Lang et al.s [2] allseits angewandtem Schema eines idealtypischen TD-Forschungsprozesses Phase A zuordnen, der der Problemumrahmung und Gruppenformation. Um von einem abgeschlossenen TD-Prozess sprechen zu können, bedarf es demnach noch zwei weitere Phasen: Die der Ko-Kreation von lösungsorientiertem, übertragbarem Wissen (Phase B) sowie die der (Re-)Integration und Anwendung des geschaffenen Wissens (Phase C).

            „Mit Transdisziplarität geht nicht nur die Frage nach Lösungen einher, sondern auch die Frage nach der Wahl des Problems“ [4]

Auch wenn von Beginn an reges Treiben im Projekt herrschte, war lange unklar, in welche Forschungsrichtung wir gehen und welcher Probleme wir uns annehmen könnten. Jede*r brachte eine andere Motivation mit ins Projekt, jeder*m waren unterschiedliche Aspekte wichtig. Wie vielfältig allein die Erwartungen innerhalb des “nähren”-Teams waren, verdeutlichte eine interne Umfrage, deren Teilergebnisse in Abbildung 1 zu sehen sind.

Fig. 1

Abbildung 1: Erwartungen der “nähren”-Teammitglieder an die Projektarbeit, Stand Juni 2017. Grafik: Fernanda von Schiller.

Die Umfrage ergab zwei grundlegende Erwartungskategorien innerhalb der „nähren“-Gruppe: 1. Erwartungen an die inhaltliche Arbeit und 2. Erwartungen an die Arbeit innerhalb der Gruppe. Die erste Kategorie zeigte einen deutliche Widerspruch zwischen dem Bedürfnis nach einem „kleinen“, realistischen Projektziel einerseits und einem “hohen”, ambitionierteren Ziel andererseits. Darüber hinaus wurde der Wunsch deutlich, in Kontakt mit Praxisakteuren zu kommen und durch die Projektarbeit einen Mehrwert zu generieren. Die zweite Kategorie offenbarte, dass insbesondere die Zusammenarbeit und die Entwicklung innerhalb der Gruppe für viele von hoher Priorität war.

Rückblickend betrachtet wurden im vergangenen Projektsemester beide Erwartungskategorien bedient, insbesondere aber jene im Bereich „Social Skills“. Es ist nicht übertrieben zu sagen, dass wir als Gruppe lange Zeit mit uns selbst beschäftigt waren. Dennoch vertiefte sich gegen Ende des Semesters auch der Kontakt zu unserem Schlüsselakteur, dem Naturpark Wildeshauser Geest, mit dessen Zutun sich die Forschungsansätze der Gruppe weiter konkretisierten.

            Merkmale “guter” transdisziplinärer Forschung
Doch macht ein wenig Austausch mit einem gesellschaftlichen Akteur bereits ein TD-Projekt? Was ist eigentlich „gute“, erfolgreiche TD-Forschung? Auch die Forschungsliteratur diskutiert über diese Definitionen [1]. Klar scheint, dass – anders als in anderen Wissenschaften – die gemeinsame Bestimmung eines Forschungsobjekts und die Einbindung von Praxisakteuren wichtige Bestandteile erfolgreicher TD-Arbeit sind [3].

Darauf aufbauend identifizieren Belcher et al. [1] vier entscheidende Kriterien für qualitativ hochwertige TD-Forschung, von denen die meisten in Tabelle 1 genannt werden. Dabei beziehen sich die Kriterien Relevanz, Glaubwürdigkeit, Legitimität und Effektivität nicht auf einzelne Projektphasen sondern explizit auf den ganzen Prozess.

Relevanz
  • Sozio-ökologischer Kontext klar definiert & Forschungsproblem sozial relevant
  • Explizite Theorie des Wandels (Identifikation des angestrebten Outcomes)
  • Projektimplementation ist angemessen
  • Effektive Kommunikation (zugänglich für Stakeholder und anderes angedachtes Publikum)
  • […]
Glaubwürdigkeit
  • Weitgreifende Vorbereitung (theoretisch und empirisch)
  • Die Forschungsziele sind klar geäußert und werden erreicht
  • Das Forschungsprojekt ist machbar (Design und Resources sind ausreichend, um das gesteckte Forschungsziel zu erreichen)
  • Kompetenzen sind adäquat und ausgeglichen (im gesamten Team, bestehend aus akademischen und sozialen Akteuren)
  • Angemessene Methoden
  • Forschungsergebnisse sind generalisierbar/transferierbar
  • Kontinuierliche Beobachtung, Reflexion und Adaptation des Forschungsprozesses
  • […]
Legitimität
  • Effektive Zusammenarbeit (klare Rollen, transparente Entscheidungsfindung)
  • Genuine und explizite Inklusion diverser Akteure
  • […]
Effektivität
  • Es wird ein Wissensbeitrag geleistet & Wissen wird praktisch angewandt
  • Das Ergebnis ist signifikant (trägt zum positiven Wandel des Problems bei)
  • […]

Tabelle 1: Vier Kriterien qualitativ hochwertiger TD-Forschung nach Belcher et al. 2016

Belchers et al.s [1] Kriterien und Merkmale „guter“ qualitativer Forschung stehen keineswegs konträr zu den Erwartungen der „nähren-“Gruppe. Dennoch offenbaren sie die Komplexität und Vielschichtigkeit eines TD-Projekts, welche wir Studierenden in unseren Erwartungen nur sehr vage widerspiegelten. Schon beim Überfliegen der Kriterien wird deutlich, dass unser studentisches Forschungsprojekt einige der genannten Punkte nur bedingt erfüllen können wird, z.B. eine ausgeglichene Team-Zusammensetzung mit diversen Praxisakteuren sowie eine angemessene Projektimplementation. An anderen Merkmalen wiederum haben wir im vergangenen Semester bereits intensiv gearbeitet, z.B. an der Definition des sozio-ökologischen Kontexts oder der weitgreifende theoretische und methodische Vorbereitung.

            „Eine weit verbreitete Ansicht ist, dass TD-Forschungsqualität ein multidimensionales Konzept ist, welches durch seinen spezifischen Kontext bedingt wird, was eine universelle Definition schwierig oder unmöglich macht“ [1: 7].

 Observiert man den im obigen Zitat von Belcher et al. erwähnten Kontext rund um unser Projekt, ist es zwingend, auch dessen Limitationen aufzuzeigen. Obgleich wir ein großes, fähiges Team sind, ist dieses Projekt nur ein Bauteil unter vielen in unserem Studium und läuft parallel zu diversen anderen Verpflichtungen. Zudem ist da noch die Begrenzung des Projekts auf ein Jahr sowie die Entfernung zur Projektregion. Diese kapazitären, zeitlichen und örtlichen Limitationen implizieren wiederum mögliche Stolpersteine, welche Lang et al. als „challenges“ der TD-Forschung hervorheben [2]: Eine mangelnde Integration unterschiedlicher Wissenstypen und organisatorischen Strukturen, diskontinuierliche Partizipation, Vagheit oder Ambiguität der Ergebnisse sowie mangelnde Legitimation und anschließende Evaluation des Outputs. Dennoch: Im Bewusstsein dessen und mittels kritischer Selbstreflexion [5] können wir mit Sicherheit einen angemessenen Mehrwert generieren.        

            Kurz gesagt – Wo kann es im zweiten Semester noch hingehen?
Die Gegenüberstellung unserer Erwartungen und Möglichkeiten mit objektivierten TD-Qualitätskriterien offenbart zahlreiche Punkte, deren Erfüllung innerhalb unseres Forschungsprojekts unrealistisch erscheint. Dies ist jedoch kein Grund, den Kopf in den Sand zu stecken! Um nach der Gruppenfindung das TD-Konzept nicht aus den Augen zu verlieren, gilt es, uns im kommenden Semester zu fokussieren: auf stärkere Kommunikation mit diversen Akteuren vor Ort, auf zielgerichtete Integration von Wissen.

            „Es ist nicht genug, Grenzen zu überschreiten […] der TD-Forscher muss sich bemühen, diese potentiell widersprüchlichen Wissensbereiche zu integrieren, um daraus anwendbares Wissen zu kreieren. […] d.h. Wissen, welches in einem spezifischen Problemkontext angewendet werden kann und Aussicht birgt, den ersehnten Wandel hervorzubringen“ [1: 6].

Gleichzeitig sollten wir kritisch bleiben und uns nicht nötigen, irgendeinen Output zu generieren, nur um des Generierens Willen. Wir sollten unsere Prioritäten in Relation zu unseren Kapazitäten setzen. Letztlich ist ein durchdachtes Erlangen von Phase B, sprich der Generierung von qualitativem Wissen, sicher wertvoller als ein überstürzter Sprint hin zu Phase C, ergo der fehlgeleiteten Anwendung unnützen Wissens.

 

  1. Belcher, B.M.; Rasmussen, K.E.; Kemshaw, M.R.; Zornes, D.A. (2016): Defining and assessing research quality in transdisciplinary context. In: Research Evaluation 25: 1-17
  2. Lang, D.; Wiek, A.; Bergmann, M.; Stauffacher, M.; Martens, P.; Moll, P.; Swilling, M.; Thomas, C.J. (2012): Transdisciplinary research in sustainability science: practice, principles and challenges. In: Sustain Sci 7(1):25-43
  3. Luthe, T. (2017): Success in Transdicsiplinary Sustainability Studies. In: Sustainability 9(71)
  4. Thompson Klein, J. (2004): Prospects for transdisciplinarity. In: Futures 36: 515-526
  5. Vanasupa, L; McCormick, K.E.; Stefanco, C.J.; Herter, R.J.; McDonald, M. (2012): Challenges in Transdisciplinary, Integrated Projects: Reflections on the Case of Faculty Members’ Failure to Collaborate. In: Innov High Educ 37: 171–184

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