Wie ‚Pokémon Go’ eine Nachhaltigkeitstransformation unterstützen könnte

Von Isabel Schrems

This blogpost is part of a transdisziplinary student project in the region of Oldenburg tought by Moritz Engbers, Prof. Ulli Vilsmaier, Dr. Maraja Riechers.

Dieser Blogpost ist Teil des Studentenprojektes Transdisziplinäres Projekt: Landkreis Oldenburg im Master Nachhaltigkeit. Lehrende: Moritz Engbers, Prof. Ulli Vilsmaier, Dr. Maraja Riechers.

Im Sommer letzten Jahres war weltweit ein ungewöhnliches Phänomen zu beobachten. Hunderte von Menschen versammelten sich im Freien an Plätzen, die sonst menschenleer waren. Grund hierfür war nicht etwa die Entdeckung einer seltenen Heilpflanze, sondern eher einer besonderen Tierspezies – dem Pokémon.

 Doch was hat das Pokémon mit unserem Forschungsprojekt zu tun?

Unser Studierendenprojekt ist eingebettet in das übergeordnete Projekt ‚Leverage Points for Sustainable Transformation’. Wie der Name bereits vermuten lässt wird sich hier intensiv mit den von Donella Meadows stammenden Konzept der ‚leverage points’ (auf deutsch ‚Interventionspunkte’) im Nachhaltigkeitskontext auseinandergesetzt. In einer komplexen Struktur sind dies Punkte, an denen kleine Änderungen zu einem großen Wandel im gesamten System führen können (1). Abson et al. (2017) identifizieren drei Bereiche, in denen Änderungen besonders bedeutend für eine tiefergehende Nachhaltigkeitstransformation sein könnten: Re-structure, Re-think und Re-connect. Im Bereich Re-structure wird sich mit institutionellem Wandel beschäftigt, während bei Re-think die Wissensproduktion und -verbreitung im Fokus liegt. Der Re-connect-Bereich konzentriert sich auf die Beziehung zwischen Mensch und Natur (2). Und da kommt wieder das Pokémon ins Spiel. In diesem Blog Post möchte ich Ihnen am Beispiel von Pokémon Go zeigen, dass es die ungewöhnlichsten und ‚unnatürlichsten’ Dinge sein können, die unser Verhältnis zur Natur beeinflussen und sich so positiv auf eine gesellschaftliche Transformation zu mehr Nachhaltigkeit auswirken könnten. Denn laut Meadows (1999) sind auch Interventionspunkte oft kontraintuitiv und nicht direkt sichtbar (1).

Dazu müssen wir zuerst ein genaueres Augenmerkt auf die Mensch-Natur Beziehung an sich legen. Die menschliche Verbindung zur Natur ist komplex und geht weit über die physikalische Abhängigkeit hinaus. Unsere Körper sind Organismen, die ohne die Natur nicht lebensfähig wären. Jedoch haben wir auch auf kognitiver, emotionaler, philosophischer und empirischer Ebene eine Beziehung zur Natur (3). Unsere heutige Gesellschaft hat sich allerdings in vielerlei Hinsicht von der Natur ‚entfremdet’. So sind wir durch den Konsum natürlicher Ressourcen materiell zwar nach wie vor mit der Natur verbunden, allerdings haben Globalisierung und Industrialisierung diese Verbindung stark geschwächt (2). Wir sind nicht mehr darauf angewiesen, was lokal und saisonal in unserer Umgebung verfügbar ist, sondern können auf weltweite Ressourcen zurückgreifen. Die zunehmende Verstädterung führt außerdem dazu, dass die Natur einen immer kleiner werdenden Teil unseres Lebensraums ausmacht. Auf physischer oder empirische Ebene findet also auch eine Entfremdung statt (4).
Diese Entfremdung zu überwinden und die Menschen wieder mit Natur zu ‚reconnecten’ könnte in den Augen von Abson et al. (2017) eine Nachhaltigkeitstransformation vorantreiben. Denn unsere Wahrnehmung von der Natur und unsere Beziehung zu ihr beeinflusst wie wir sie behandeln (2). Beispielsweise können die Auswirkungen unseres Fleischkonsums durch das Kennenlernen der Masttiere und deren Haltungsweise bewusst gemacht werden und zu einer Veränderung der Essgewohnheiten führen.

Wie aber könnte Pokémon Go unsere Beziehung zur Natur verändern?

Technische Entwicklung und verändertes Spiel- und Freizeitverhalten tragen ihren Teil zur menschlichen Entfremdung von der Natur bei: Heutzutage ist es unüblich geworden den Großteil der Freizeit draußen im Grünen zu verbringen. Die Suche nach den japanischen Fantasiewesen jedoch lockt die TeilnehmerInnen des Pokémon Go-Spiels raus ins Freie und oftmals in die Natur oder an Orte, an die sie es bisher selten verschlagen hatte. Denn es ist Aufgabe des Spiels sich in der realen Welt auf die Jagd nach den digitalen Pokémons zu begeben. Teilweise müssen mehrere Kilometer überwunden werden, bis ein bestimmtes Wesen gefunden werden kann. Sichtbar wird es aber nur mit dem Smartphone. Denn die Phantasiewesen sind nur digital zu sehen. Durch Pokémon Go spazieren auf diese Weise auch viele Menschen durch die Natur, die sonst selten einen solchen Streifzug unternehmen. Auf physischer Ebene werden Mensch und Natur durch Pokémon Go also wieder zusammengeführt. Letztendlich haben die Spielenden jedoch keine Augen für die schöne Pflanz- und Tierwelt, die sie umgibt, und setzten sich mit dieser nicht auseinander – sie sind lediglich auf der Suche nach menschlich kreierten Fantasiewesen. Könnte das Spiel dennoch tatsächlich umweltbewussteres Handeln fördern und damit eine gesellschaftliche Transformation hin zu mehr Nachhaltigkeit unterstützen?

Fig. 1

Fotos: Isabel Schrems

Ja, denn bereits der unbewusste Aufenthalt in der Natur kann das Verhältnis der Spielenden zu ihrer Umwelt positiv prägen – insbesondere im Kindesalter. Matteo Giusti (2016) ist der Ansicht, dass sogenannte ‚Natur-Routinen’ von Kindern wichtige Interventionspunkte einer nachhaltigen Entwicklung darstellen könnten. Unter Natur-Routinen versteht er dabei alltägliche Erfahrungen mit der Natur, die sowohl durch räumliches als auch zeitliches Aufhalten geprägt sind. Eine bewusste Auseinandersetzung mit der Natur ist nicht unbedingt ausschlaggebend für eine positive Bindung. Vielmehr können es, ihm zufolge, unterbewusste Erfahrungen mit der Natur sein, die die kindliche Einstellung zu ihr stark prägen (5).

Verbringen wir als Kinder unsere Zeit damit draußen Pokémons zu jagen, könnte dies unbewusst unsere Bindung zur Natur stärken und damit auch beeinflussen, wie wir als Erwachsener mit unserer Umwelt umgehen. Die Frage ist nur, wieviel die Kinder bei der Jagd auf Pokémons überhaupt von der Natur erfahren. Wird das Spiel dominiert von der ehrgeizigen Suche nach dem nächsten Fantasiewesen auf dem Smartphone-Bildschirm, tritt die Natur womöglich soweit in den Hintergrund, dass sie auch unterbewusst keine Rolle spielt. Pokémon Go ersetzt keine tatsächlich wahrgenommenen Erlebnisse im Freien. Für sich allein kann das Spiel also nicht als eine Lösung für das Entfremdungsproblem von Mensch und Natur angesehen werden – allerdings könnte es in Verbindung mit bewussteren Naturaktivitäten helfen die ‚Natur-Routinen’ wieder leichter im Alltag der Kinder zu integrieren.

 

Quellen

  • Meadows, D. 1999. Leverage points: Places to intervene in a system. The Sustainability Institute Hardtland.
  • Abson, D. J. et al. 2017. Leverage points for sustainability transformation. Ambio 46/1: 30-39.
  • Ives, C. D. et al. 2017. Human-nature connection: a multidisciplinary review. Current Opinion in Environmental Sustainability 26-27: 106-113.
  • Andersson, E. et al. 2014. Reconnecting cities to the biosphere: stewardship of green infrastructure and urban ecosystem services. Ambio 43: 445-453.
  • Giusti, M. 2016. Nature Routines of Children as Leverage Point for Sustainable Social-Ecological Urbanism. Licentiate thesis in Sustainability Science, Stockholm University.

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