Gebietsfremd im Landkreis Oldenburg

Fremdheit oder Zugehörigkeit: das sind keine Nichtigkeiten. Über Neophyten und gebietsfremde Wissenschaftler

– von Laurin Berger –

This blogpost is part of a transdisciplinary student project in the region of Oldenburg taught by Moritz Engbers, Prof. Ulli Vilsmaier, and Dr. Maraja Riechers.

Dieser Blogpost ist Teil des Studentenprojektes Transdisziplinäres Projekt: Landkreis Oldenburg im Master Nachhaltigkeit. Lehrende: Moritz Engbers, Prof. Ulli Vilsmaier, Dr. Maraja Riechers.

IMG_3880.jpgEin Raum für Reflektion: Wissenschaftler, Studierende und Künstler am Projektcontainer in Kirchhatten. Foto: Laurin Berger

Es ist ein sonniger Juniabend, an dem sich einige Künstler des Kollektivs ArtEcology Network (www.artecology.eu) zum ersten Mal mit Studierenden unseres transdisziplinären Forschungsprojektes am Projektcontainer in Kirchhatten treffen. Unter der entstehenden Installation des Künstlers Peer Holthuizen (www.3mal3.net) sollen in dieser Zusammenkunft Allianzen zwischen Kunst und Wissenschaft geknüpft werden, um gemeinsam Perspektiven für eine zukunftsfähige Entwicklung im Naturpark Wildeshauser Geest zu erarbeiten. Dazu gibt es Bier von Jever aus dem Landkreis Friesland ein erster Versuch des Aufbaus regionaler Identität unter den zugereisten Wissenschaftlern.

Nebenan, im Gemeindezentrum Kirchhatten, sitzen Senioren der freiwilligen Feuerwehr. Es gibt Krombacher Bier, nicht so regional aus dem Siegerland. Ganz offensichtlich haben die heimischen Feuerwehrleute es nicht nötig, ihre regionale Identität mit einer Biermarke zu manifestieren. Als zwei der Studierenden den Raum betreten, ist es schlagartig still. Eigentlich sollten sie jetzt sagen „Wir sind fremd hier“ so war es abgemacht, doch das bedurfte schon gar keiner Verbalisierung mehr. Das war sowieso klar. Gehen wir rüber, legen unsere Treffen zusammen, als Zeichen der Zugehörigkeit? Künstler, Feuerwehr und Wissenschaftler an einem Tisch, so könnte transdisziplinäre Forschung schließlich aussehen.

Fremdsein im Landkreis Oldenburg. Fremd, als Wissenschaftler; fremd auch als Künstler.

Fremd ist mehr als das Neu sein, es ist auch das Unvertraute, Unbekannte.

Geliebtes Neues?

Um den Umgang mit dem Fremden geht es auch Anja Schoeller. In ihrem Kunstprojekt „GeLIEBter NEOphyt“ (www.zwischenbericht.eu) beschäftigt sie sich mit unserem Umgang mit dem Fremden und Unbekannten, mit den sogenannten gebietsfremden Arteni. Neophyten, Pflanzen, die nach der „Entdeckung“ Amerikas durch Kolumbus mit Hilfe des Menschen nach Europa eingewandert sind, werden oft kritisch betrachtet, die invasiven Arten unter ihnen sogar bekämpftii. Dabei besteht ein Großteil unserer heutigen Speisekarte aus Neophyten. Auch Kartoffeln und Mais, zwei dominante Kulturen auf den Äckern der Wildeshauser Geest sind keine heimischen Pflanzen. 687 Neophyten und Archäophyten, also noch vor Kolumbus´ Ankunft in Amerika eingewanderte Arten, gibt es in Deutschland. Nicht alle Neophyten sind so gern gesehen wie die Kartoffel, die doch fast schon ein Inbegriff Deutschlands geworden ist. So können invasive Arten das bestehende Ökosystem destabilisieren, einheimische Arten verdrängen und die Biodiversität gefährdeniii. Doch Anja Schoeller geht es um etwas Anderes: was sagt unser Umgang mit den Neophyten über unser Verhältnis zum Fremden und Neuen aus? „Ausländer raus aus deutschen Wäldern!“ titelte 1998 die Zeitung „Die Welt“ zu politischen Vorstößen, nur noch heimische Baumarten in Wäldern zuzulasseniv. Auch heute dominiert ein kriegerisches Vokabular die Medienberichte: da ist von Ausrottung und Merzen die Rede. Bürger*innen werden aufgerufen, invasive Arten in ihren Gärten zu bekämpfenv. Anja Schoeller möchte die „ungeliebten Pflanzen und Tierarten ˋendlichˊ auf den Tisch bringen“, für einen neuen Umgang mit den Fremden sorgenvi.

Heimat oder Fremde, das sind begriffliche Gegensätze. Schon das Festlegen eines Zeitpunktes, ab dem neu auftauchende Pflanzen nicht mehr als „heimisch“ gelten, zeigt, wie normativ die Begriffsabgrenzungen doch sind.

Fremd zu sein, das bedeutet „außerhalb der gewohnten Umgebung“ zu seinvii.

Auch wir Wissenschaftler sind nicht im Landkreis beheimatet, müssen einen Bezug zur Region erst aufbauen. Transdisziplinäre Forschung stellt ungewohnte Anforderungen an Wissenschaftler. Denn es geht nicht nur um die Einbeziehung verschiedener Disziplinen, sondern auch um das gemeinsame Forschen mit Akteuren in der Region zu einem realen Problemviii. Nicht länger hat der Wissenschaftler die klassische Rolle des Wissensproduzenten im isolierten Raumschiff außerhalb der Gesellschaft. Im Gegenteil, transdisziplinäre Forschung erkennt an, dass sie Teil der Gesellschaft ist und nutzbares Wissen produzieren muss, um ein lebensweltliches Problem lösen zu könnenix. Vielmehr ist unsere Rolle als Wissenschaftler eine zwischen unterschiedlichen Sichtweisen vermittelnde. Es ist die Rolle des Raumgebers für Reflektion und Innovation, des Wissensmaklers und des Initiatorsx. Doch mit welcher Legitimierung kommen wir in die Region? Wie definieren wir ein gemeinsames Problemverständnis? Wer hat uns eingeladen? Gebietsfremde Wissenschaftler zu sein, ist eine Herausforderung, die uns während der ersten drei Tage im Landkreis beschäftigt.

Viele von uns Wissenschaftlern haben zumindest eine verwandtschaftliche Verbindung zum Land. Teilhabe, Zugehörigkeit, beheimatet sein, das macht die Verbindung zu einer Region aus, die es bräuchte.

Quellen:

i Siehe: http://www.artecology.eu/files/index_submenu.php?seite=5&folge=14. Letzter Zugriff: 17.06.2017

ii Klingenstein, F., & Otto, C. (2008). Zwischen Aktionismus und Laisserfaire: Stand und Perspektiven eines differenzierten Umgangs mit invasiven Arten in Deutschland. Natur und Landschaft, 407.

iii Piechockie, R. (2015): Fremdenfeindlichkeit im Naturschutz? Zur Problematik heimischer und fremder Arten. In: Naturschutz und Rechtsradikalismus. Gegenwärtige Entwicklungen, Probleme, Abgrenzungen und Steuerungsmöglichkeiten. Hrsg. V.: Heinrich, G.; Kaiser, K.D.; Wiersbinski, N.; Bfn; Bad Godesberg 2015. S. 3853

iv Siehe Piechokie (2015), S. 38. v Schwarz, Carolina: Endgegner Neophyten. Xenophobe Äußerungen über Pflanzen. In.: Taz online, am 27.10.2016. Zugriff: http://taz.de/!5352080/. Letzter Zugriff am 17.06.2017:

vi Artecology_network (2017): Geliebter Neophyt: http://www.artecology.eu/files/index_submenu.php?seite=5&folge=14; letzter Zugriff am 18.06.2017

vii Seebold, E.: Fremd, in: KLUGE, Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache, 25. Ausgabe. De Gruyter, Berlin/Boston 2011. S. 317

viii Vilsmaier, U., & Lang, D. J. (2015). Making a difference by marking the difference:

constituting inbetween spaces for sustainability learning. Current Opinion in Environmental Sustainability, 16, 5155.

ix Miller, T. R. (2013). Constructing sustainability science: emerging perspectives and research trajectories. Sustainability science, 8(2), 279293.

x Wittmayer, J. M., & Schäpke, N. (2014). Action, research and participation: roles of researchers in sustainability transitions. Sustainability science, 9(4), 483496.