Gruppendynamik einer interdisziplinären Forschungsgruppe
Von Annalena Stuhlmann
This blogpost is part of a transdisciplinary student project in the region of Oldenburg taught by Moritz Engbers, Prof. Ulli Vilsmaier, and Dr. Maraja Riechers.
Dieser Blogpost ist Teil des Studentenprojektes Transdisziplinäres Projekt: Landkreis Oldenburg im Master Nachhaltigkeit. Lehrende: Moritz Engbers, Prof. Ulli Vilsmaier, Dr. Maraja Riechers.
Vor knapp zwei Monaten kam unsere Forschungsgruppe zur „Fallstudie Oldenburg“ das erste Mal zusammen. Achtzehn Frauen und vier Männer, mit und ohne Gruppenarbeitserfahrung, saßen in einem großen Kreis, stellten sich einander vor und begannen, sich als Gruppe zu organisieren. Die derzeitigen Nachhaltigkeitswissenschaftler*innen forschen interdisziplinär; sie kommen aus unterschiedlichsten Disziplinen, wie z.B. Wirtschaftsingenieurwesen, Business Management, Politik-, Umwelt-, Agrarwissenschaften. Die Mitglieder solcher interdisziplinären Gruppen haben somit unterschiedliche Ausdrucksweisen, Fachbegriffe, Arbeitsweisen, Werte, Normen, Regeln, etc., weshalb die Koordination eine Herausforderung darstellt (vgl. Giulio & Defila 1998).
Alle haben zwar das gleiche Ziel, aber eine andere Herangehensweise.
Aber haben denn wirklich alle das gleiche Ziel?
Die Aufgabe der Gruppe ist, ein transdisziplinäres Forschungsprojekt im Landkreis Oldenburg durchzuführen. Dabei werden Lösungen gesellschaftlicher Probleme und die Produktion von anwendungsbezogenem Wissen gemeinsam mit den Praxisanwender*innen angestrebt (Giulio & Defila 1998).
Bei unserem Projekt handelt es sich jedoch um ein Pflichtmodul des Masterstudiengangs „Nachhaltigkeitswissenschaften“, wobei die Teilnehmer*innen unterschiedlichste Motivationen, Ziele, Ansprüche und Ressourcen haben sich an diesem Projekt zu beteiligen. Die einen sind hochmotiviert, die anderen eher weniger; Manche haben hohe Ziele, andere gar keine; Und manche haben vielleicht gar nicht so viel Zeit.
Ich bin ein Teil dieser Gruppe, Biologin, nahezu ohne Gruppenarbeitserfahrung und war von Beginn an sehr motiviert. Im Laufe des Forschungsprozesses habe ich schon einiges gelernt, vor allem, dass die Arbeit in einer so diversen Gruppe nicht immer ganz einfach ist – und davon möchte ich Ihnen hier berichten, insbesondere über zwei für mich sehr zentrale Herausforderungen. Zu Beginn standen die Gruppenmitglieder vor vielen offenen Fragen, wie z.B. „Wer bin ich hier, wer soll ich hier sein? … Wer sind die anderen? … Wer hat hier Einfluss und (…) bestimmt das Gruppengeschehen? … Was kommt hier auf mich zu?“ (Voigt 2004; S.178f).
Gerade in interdisziplinären Gruppen ist die Startphase der Gruppenentwicklung, neben der Neugier und Euphorie, auch geprägt von negativen Gefühlen wie Unsicherheit, Gespanntheit und Fremdheit. Hinzu kommen das transdisziplinäre Forschen, die unklare Forschungsrichtung und die noch unbekannten Forschungspartner im Landkreis Oldenburg. Nun galt es, im Rahmen des Lernprojektes verschiedene Kompetenzen zu erlangen, wie z.B. die „Fähigkeit, umfangreiche wissenschaftliche Projektarbeiten als Team ziel- und ergebnisorientiert zu planen und zu managen“ (Engbers 2016, S.5). Das heißt, abgesehen von einer gewissen Rahmensetzung und der Begleitung durch Lehrende und eines Tutors war die Studierendengruppe der Selbststeuerung überlassen. Dazu gehört sowohl die Steuerung sachlicher Aspekte, also die Erfüllung einer Aufgabe, als auch die Steuerung sozialer Aspekte, wie der Dynamik der Gruppe (Schattenhofer 2004).
„Teams können vielleicht ohne LeiterIn, aber nicht ohne Leitung…“
(Schattenhofer 2004, S. 111)
Doch wenn es keine*n Leiter*in gibt, wer übernimmt dann die Leitung der Gruppe?
Keiner wollte Macht über jemand anderen haben.
Wir sind dieser anspruchsvollen Herausforderung damit begegnet, indem wir zunächst versucht haben unter wechselnder Moderation der Plenumssitzungen unser gemeinsames Ziel zu definieren. Um eine reibungslose Zusammenarbeit zu ermöglichen, haben wir gemeinsam einen Verhaltenskodex erarbeitet und versucht, Rollen und einzelne Aufgaben zu verteilen. Um dabei allen Ansichten der interdisziplinären Gruppe gerecht zu werden, wurde meist ein Konsens angestrebt, wodurch ausgedehnte Diskussionen die Zusammenarbeit im Plenum dominiert haben (vgl. Giulio & Defila 1998).
Aus 1 mach 2 …
Auf Grund der Gruppengröße von 22 Frauen und Männer wurde uns empfohlen, uns in zwei Untergruppen aufzuteilen, um den Arbeitsprozess zu erleichtern. Uns stand frei dies zu tun, genauso wie die Entscheidung, ob wir unser Ergebnis, die Prüfungsleistung, gemeinsam in der großen Gruppe verfassen oder getrennt in den Untergruppen.
Sie können sich vielleicht vorstellen, dass es nicht ganz einfach ist, aus einer bereits bestehenden Gruppe zwei Untergruppen aufzuteilen, um dann trotzdem an einem gemeinsamen Ergebnis zu arbeiten.
Jedoch klang das Argument der Prozesserleichterung zunächst sinnvoll, sodass wir die Aufspaltung vorerst ausprobiert haben. Es stellte sich heraus, dass die Arbeit in den Untergruppen tatsächlich effizienter von statten ging, als im Großplenum. Deshalb haben wir uns dafür entschieden in zwei Untergruppen zu arbeiten und einen gemeinsamen Forschungsbericht zu verfassen, um die Großgruppe noch ein Stück weit zu erhalten.
Die Untergruppen durchliefen also erneut eine Orientierungsphase der Gruppenentwicklung, wobei wieder ein gemeinsames Ziel definiert wurde, und jede*r sich einen Platz und eine Rolle in der Untergruppe gesucht hat. Durch die intensive Zusammenarbeit und die gemeinsamen Erlebnisse in den einzelnen Untergruppen entstand ein gestärktes Gruppengefühl, eine Art „Wir-Gefühl“ (Abbildung 1; Wellhöfer 2012, S. 25), es entwickelten sich Teams. Bei der Teamentwicklung wird in der Regel die Frage der Zugehörigkeit, nach der inneren und äußeren Wahrnehmung geklärt. Außerdem geht es um „den Erhalt der Kontinuität und der Identität des Teams“, das heißt es entwickelt sich ein leitendes „Selbstbild der Gruppe und (…) damit verbundene „Gegenbilder“, von denen sich das Team abgrenzt.“ (Schattenhofer 2004, S. 109). Durch die Teambildung erhöhte sich allerdings auch die Distanz zwischen den Teams, was für eine angespannte Atmosphäre sorgte, wenn es darum ging, im Plenum gemeinsam Entscheidungen zu treffen.
„Das Plenum ist dann ein anderer Sozialkörper als die Gruppe. Es setzt sich einfach aus anderen und mehr Menschen zusammen.“ (Buchinger 2004, S.257)
Die erhöhte Distanz zwischen den Teams kann die Loyalität zum eigenen Team stärken (vgl. Buchinger 2004, S.257), sowie zu Konkurrenzdenken und –verhalten zwischen den Teams führen (vgl. Leavitt et al 1979, S. 161ff). Dieses Gefühl der Konkurrenz erschwerte zusätzlich die Bewältigung der Herausforderung „Selbststeuerung“.

Abbildung 1 Teambildendes Erlebnis in Harpstedt, Landkreis Oldenburg. Photo: Laurin Berger
Obwohl diese Themen in der Gruppe noch nicht offen reflektiert und angegangen wurden, wurde die bisherige Zusammenarbeit gut gemeistert. Trotz zwischenzeitlichem Motivationsverlust, Selbstzweifel und der Frage nach dem Sinn des gemeinsamen Zusammenwirkens einiger Gruppenmitglieder, ist die Gruppe auf dem besten Weg, sich dem gemeinsamen Gruppenziel zu nähern. Das vorwiegende Bedürfnis nach Harmonie hat trotz der Spannungen für einen respektvollen Umgang miteinander gesorgt.
Ich denke wir gehen als Gruppe gestärkt in die weiteren Phasen des transdisziplinären Forschungsprozesses, wenn es dann heißt mit den lokalen Akteuren im Landkreis Oldenburg gemeinsam eine Forschungsfrage zu entwickeln und zu beantworten.
Mit weiteren Akteuren kommen weitere Charaktere und Disziplinen hinzu, wobei einhergehende Normen, Werte, Regeln, persönliche Motivationen, Interessen, Ziele und Ressourcen den weiteren Verlauf des Projektes mitbestimmen werden (vgl. Schophaus et. al 2003).
Das ist eben das Besondere und die Essenz der transdisziplinären Forschung; die vorhandene Vielfalt in das Zentrum der Forschung zu stellen und die Divergenzen und unterschiedlichen Kompetenzen zu nutzen, zu akkumulieren und zum größtmöglichen Nutzen aller Beteiligten zu machen – und das haben wir vor!
LITERATUR
- Antonietta Di and Rico Defila (1998). Interdisziplinarität Und Disziplinarität. In: Zwischenden Fächern – über den Dingen?, edited by J.-H. Olbertz. Opladen. S.111–137
- Buchinger, Kurt (2004). Gruppenarbeit und Teamarbeit in Organisationen. Ideologie und Realität. In: Teamarbeit. Konzepte und Erfahrungen–eine gruppendynamische Zwischenbilanz, Weinheim [u.a.]: Juventa: 210-266.
- Engbers, Moritz (2016) Methodenkompetenzen (Modulbeschreibung). Einführungspräsentation Transdisziplinäre Fallstudie Landkreis Oldenburg. Leuphana Universität Lüneburg
- Leavitt, H. J., Haseloff, O. W., & Bischoff, U. (1979). Grundlagen der Führungspsychologie: Individuum-Gruppe-Organisation (2., völlig neubearb. Aufl.). München: Verl. Moderne Industrie.
- Schattenhofer, Karl. (2004) Selbststeuerung in organisationsgebundenen und „freien “Teams. In: Teamarbeit: Konzepte und Erfahrungen – eine gruppendynamische Zwischenbilanz. Velmerig, C. O., Schattenhofer, K., & Schrapper, C. Weinheim [u.a.]: Juventa. S. 106-132
- Schophaus, Malte, Hans-Liudger Dienel, and Christoph-Friedrich von Braun. 2003. ‘Von Brücken Und Einbahnstraßen. Aufgaben Für Das Kooperationsmanagement Interdisziplinärer Forschung. Discussion Paper Zentrum Technik Und Gesellschaft, Technische Universität Berlin
- Voigt, Bert. (2004). Team und Teamarbeit. In: Teamarbeit: Konzepte und Erfahrungen – eine gruppendynamische Zwischenbilanz. Velmerig, C. O., Schattenhofer, K., & Schrapper, C. Weinheim [u.a.]: Juventa. S. 157-207.
- Wellhöfer, Peter R. Gruppendynamik und soziales Lernen: Theorie und Praxis der Arbeit mit Gruppen. Vol. 2192. utb, 2012.