Eine persönliche Reflektion eines transdisziplinären Forschungsprozesses
Von Benjamin Yang
This blogpost is part of a transdisziplinary student project in the region of Oldenburg tought by Moritz Engbers, Prof. Ulli Vilsmaier, Dr. Maraja Riechers.
Dieser Blogpost ist Teil des Studentenprojektes Transdisziplinäres Projekt: Landkreis Oldenburg im Master Nachhaltigkeit. Lehrende: Moritz Engbers, Prof. Ulli Vilsmaier, Dr. Maraja Riechers.
Was ist TD?
Beim Lesen dieses Blogs müsste es bereits zig-malig aufgetaucht sein, das Wort Transdisziplinarität beziehungsweise trandisziplinäres Forschen beziehungsweise TD. Kurz und recht grob beschrieben, bedeutet es nicht-akademische Wissensquellen, wie beispielsweise aus der Politik, Wirtschaft oder Zivilgesellschaft in einen kollaborativen Forschungsprozess zu integrieren um gemeinsam gesellschaftlich relevante Probleme zu definieren und mögliche Lösungsansätze zu erarbeiten.
Bei der Arbeit an diesem studentischen trandisziplinären Forschungsprojekt, zu dem auch dieser Blogpost gehört, ist mir jedoch ein mal mehr deutlich geworden, dass trandisziplinäres Arbeiten nicht nur eine neue Art des Forschens ist.
Warum wird transdisziplinär gearbeitet?
Transdisziplinäres Forschen wird als ein Schlüsselaspekt der Nachhaltigkeitswissenschaften betrachtet.[1] In Anbetracht dessen wird in ihnen erforscht, wie Nachhaltigkeit umgesetzt werden kann.
Nachhaltigkeitsprobleme, wie zum Beispiel der Klimawandel, Artensterben, Bodendegradation, Verteilungsungerechtigkeiten, Landflucht und viele mehr, sind oftmals sehr komplex und in vielen verschiedenen Bereichen der Gesellschaft verwurzelt. Meistens sind sie auf noch größere Probleme zurückzuführen, die letztendlich an den Fundamenten unserer Gesellschaft liegen, wie zum Beispiel das stetige Populationswachstum oder eine konsumorientierte Kultur.[2] Aufgrund dessen wird davon ausgegangen, dass eine gesamtgesellschaftliche Transformation von Nöten ist, um eben jene grundlegenden problematischen Situationen zu lösen beziehungsweise ins Nachhaltigere zu verändern.[3]
Damit solche komplexen Probleme überhaupt erfasst und Lösungen erarbeitet werden können, werden viele verschiedene wissenschaftliche Disziplinen in die Nachhaltigkeitswissenschaften integriert, wie beispielsweise Biologie, Chemie, Ökologie, Geographie oder gesellschaftswissenschaftliche Fachgebiete wie Soziologie, Politikwissenschaften, BWL, Recht ebenso philosophische Bereiche wie die Ethik. Die Nachhaltigkeitswissenschaften können demnach als multi- und interdisziplinäre Wissenschaften bezeichnet werden, die Gesellschaftsprobleme lösen sollen.
Weiter wird in den Nachhaltigkeitswissenschaften die Gesellschaft als System mit bestimmten Mechaniken, Funktionen und Abläufen betrachtet. Dadurch ist es möglich zu untersuchen, welche Prozesse zu Entwicklungen führen, die unnachhaltige Folgen haben. Es kann also ein großes Nachhaltigkeitsproblem runtergebrochen und unterteilt werden, bis ein Teil beziehungsweise eine Entwicklung gefunden wird, deren Transformation realistisch ist, wie zum Beispiel die Untersuchung von Hebeln für Nachhaltigkeit im Landkreis Oldenburg.[4]
Um den Blickwinkel jedoch noch weiter zu fassen und vor allem, um gesellschaftsrelevante Probleme möglichst realitätsnah zu lösen, werden andere, nicht-wissenschaftliche Teilnehmer der Gesellschaft und deren jeweiliges Wissen in den Forschungsprozess mit einbezogen. Was an dieser Stelle also geschieht, ist, dass nicht-akademische Wissensquellen anerkannt werden und somit die Vormachtstellung der Wissenschaft auf Wissen im Allgemeinen aufgelöst wird.[5] Weiter wird das wissenschaftliche Wissen als eine von vielen möglichen Wissensarten erachtet, wodurch Wissenschaftler und Nicht-Wissenschaftler gleichermaßen als Gesellschaftsteilnehmer betrachtet werden. Die klassisch wissenschaftliche Position von Forschendem und Forschungsobjekt wird dadurch aufgehoben. Die Forschenden sind, als Teilnehmer der Gesellschaft, gleichzeitig die Erforschten.[6] Die übergeordnete Forschungsfrage ist demnach “Was können wir wie an uns ändern?” und ist letztendlich ein Prozess der Selbstreflektion. Was machen wir eigentlich? Warum machen wir das? Was müssen wir verändern, um eine bessere Situation zu schaffen?
Ein weiterer Vorteil dieser Forschungsart ist, wie erwähnt, dass die Probleme und deren Lösungen, die gemeinsam erarbeitet werden, zwangsläufig gesellschaftsnah und umsetzbar sind. Es werden möglichst viele Akteure, die etwas mit der Problematik zu tun haben, einbezogen, um viele wichtige Perspektiven zu beachten und damit auch Lösungen zu erarbeiten, die für so viele Menschen wie möglich zufriedenstellend und auch umsetzbar sind.[7]
Diese Zusammenarbeit von Beginn an für ein gemeinsames Ziel ist bestimmend für den weiteren Prozess, da deutlich wird, dass jeder Teilnehmer seine Interessen integrieren kann. Dadurch entsteht Verantwortung für die Forschung.

Abbildung 1: Modell eines idealtypischen transdisziplinären Forschungsprozesses: Das ISOE-Modell (Heinrichs et al. 2014: S. 106)
Ist Transdisziplinarität transformativ?
Bemerkenswert an der transdisziplinären Forschung ist meiner Ansicht nach ihre Flexibilität. Auch wenn in ihr Methoden verwendet werden, die als wissenschaftlich bezeichnet werden können, scheint mir die transdisziplinäre Forschung wissenschaftlich amorph. Sie folgt nur lose einer bestimmten Struktur (weshalb die Abbildung lediglich einen idealtypischen transdisziplinären Forschungsprozess darstellt) und ist zu jedem Zeitpunkt offen für Veränderungen und Anpassungen. Das übergeordnete Ziel, eine Entwicklung zur Nachhaltigkeit, ist für alle Teilnehmer gleichbleibend. Doch da die Nachhaltigkeit an sich an Bedürfnissen orientiert ist und diese wiederum von gesellschaftlichen Werten abhängig sind, ist sie zumindest zu einem gewissen Grad subjektiv. Nachhaltigkeit und damit auch die transdisziplinäre Forschung werden demnach von den Akteuren “gefüllt”.
Die Forschenden fragen sich “Wie wollen wir leben?” und bestimmen bei der Problemdefinition, welche Situation für sie problematisch ist und wie sie aussehen sollte oder könnte. Dieses Ziel kann sich jedoch, wie beschrieben, während des Prozesses ändern, da durch die Zusammenarbeit neue Erkenntnisse gewonnen werden. Hierauf wurde beispielsweise im derzeitigen Projekt bereits von Anfang an hingewiesen und dies ist ein Punkt, der aus meiner Sicht bemerkenswert und unwissenschaftlich ist. Das übergeordnete Ziel ist allen klar, doch der Weg dorthin wird während des Prozesses bestimmt.
Was Transdisziplinarität also so flexibel macht, ist die Diversität an Akteuren. Die unterschiedlichen Hintergründe, Verhaltensweisen, Arbeitsweisen, Ansichten, Werte und Interessen schaffen einen großen Ressourcenpool, aus dem stetig neue Impulse und Kompetenzen geschöpft werden können. Um diese Ressourcen so divers wie möglich zu gestalten und diese auch tatsächlich nutzen zu können, ist, wie in jeder Zusammenarbeit, die Kommunikation von äußerster Wichtigkeit.
Sie bestimmt die Definition der Problematik, den Wissensaustausch, das gemeinsame Erarbeiten einer Lösung und deren Durchführung. Insofern könnte der transdisziplinäre Forschungsprozess auch als Kommunikationsprozess gesehen werden, in dem die Verbindungen zwischen den Teilnehmern der Gesellschaft untereinander und der Gesellschaft mit ihrer Umwelt verständlich und veränderbar werden.
Die vorangegangenen Überlegungen zusammenfassend, ist Transdisziplinarität also stark abhängig von den Mitwirkenden. Hierin liegt, wie beschrieben, enormes Potenzial. Dennoch kann die Forschung gerade an diesem Punkt scheitern, wenn zum Beispiel einige Akteure nicht aktiv teilnehmen oder die Kommunikation nicht funktioniert beziehungsweise keine Einigung der Interessen erreicht werden kann.
Um die Eingangsfrage zu beantworten, denke ich, dass transdisziplinäres Forschen, wenn es sein Potenzial vollständig entfaltet, kaum noch als wissenschaftlich bezeichnet werden kann. Schließlich ist gerade die Überwindung wissenschaftlicher Grenzen ihr Kern. Die Wissenschaft spielt somit eine unterstützende Rolle, die dem eines Vermittlers oder Ideengebers nahekommt. Als ein sehr einflussreicher Teil der heutigen Gesellschaft sollte die Wissenschaft in einem transdisziplinären Forschungsprozess keinesfalls vernachlässigt werden, doch sollte sie ebenso wenig, aus demselben Grund, zu dominant sein, wenn tatsächliche Transformation stattfinden soll.
Literatur
[1] Heinrichs, Harald et al. (2014): Nachhaltigkeitswissenschaften, S. 91
[2] Kates, Robert W. et al. (2001): Sustainability science, S. 641-642
[3] WBGU (2011): Welt im Wandel. Gesellschaftsvertrag für eine Große Transformation, S. 29-31
[4] Robinson, J. (2003): Future subjunctive: backcasting as social learning, S. 848-849
[5] Lang, Daniel J. et al. (2012): Transdisciplinary research in sustainability science: practice, principles, and challenges, S. 26
[6] Heinrichs, Harald et al. (2014): Nachhaltigkeitswissenschaften, S. 96
[7] Lang, Daniel J. et al. (2012): Transdisciplinary research in sustainability science: practice, principles, and challenges, S. 28